Die Verkehrswende droht zu scheitern! Jedes zweite Verkehrsunternehmen reduziert derzeit die Angebotsleistung – und zwar wegen des Fahrermangels.
Personalnot – mit Ansage
Nein, die Personalnot ist nicht über Nacht gekommen, und sie ist auch nicht wegen Corona da. Seit Jahren haben wir im KOBLENZER FORUM auf die Entwicklung hingewiesen. Einsparrunden nach Einsparrunden, „Optimierung“ der Dienstpläne bis zum Äußersten. Die Städte und Kommunen als Aufgabenträger drückten auf die Kostenbremse. Einstellungen wurden nur sehr restriktiv vorgenommen. Die Arbeitsbedingungen verschlechterten sich. Und der Berufsalltag des Fahrers wurde auch nicht einfacher. Der Fahrerberuf wurde entwertet und zur Kostenstelle.
Hilflosigkeit in unserer Branche
Allein in diesem Jahr fehlen 8000 Fahrerinnen und Fahrer im ÖPNV, 90.000 bis zum Jahr 2030. 10-15 % der Belegschaften sind bereits älter als 60 Jahre. Und nur knapp 10% sind Fahrerinnen. In den Nachbarländern ist diese Quote doppelt so hoch. Der sogenannte Fachkräftemangel ist nicht die Ursache, sondern die Folge dieser Entwicklung. Keiner in der Branche glaubt wirklich, dass sich diese Situation in diesem und nächstem Jahr verändert. Die VDV-Kampagnen „Arbeitgeberinitiative“ oder „Maßnahmen gegen den Personalmangel im Fahrbetrieb“ scheinen eher die Hilflosigkeit zu dokumentieren, als dass sie die grundlegenden Ursachen angehen.
Was können wir tun?
Einig müssten wir uns alle sein, dass nur durch eine Kombination von vielen Bausteinen aus dem „Verwalten des Mangels“ eine „Gestaltung der Verkehrswende“ werden kann. Dazu gehört:
- Arbeitsbedingungen verbessern, Entlastung schaffen,
- die Bezahlung verbessern,
- sich mehr um die Mitarbeitenden kümmern,
- dem Fahrerberuf wieder mehr Würde verleihen.
Arbeitsbedingungen verbessern, Entlastung schaffen
Die Einstiegshürden abzubauen für den Erwerb der Klasse D und DE ist sicher nicht falsch. Und auch Wohnungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu bauen, hilft beim Werben um Fachkräfte. Mittlerweile gehen größere Betriebe auch dazu über, Kindergartenplätze zu schaffen und mit zu finanzieren. Ob die Werbekampagnen in Ost- und Südeuropa sowie sogar in Nordafrika wirklich sinnvoll sind, ist mehr als fraglich. Denn die betrieblichen Erfahrungen zeigen, dass sowohl die Rückwanderung in die Heimat als auch die Abwanderung in andere Branchen hoch sind und keine nachhaltige Bindung entsteht.
Wir wollen attraktiv werden für Berufseinsteiger, wir wollen das bestehende Personal und die älteren Kolleginnen und Kollegen entlasten. Gerade für den Fahrdienst gibt es eine Reihe von konkreten Themen, die man in den Betrieben ausdiskutieren sollte, um eine nachhaltige Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu schaffen. Hier geht es um den eigentlichen Kern des Problems!
Rückwärtsrollierung contra knappe Ruhezeiten
Der alte Streit: Was ist besser: rückwärts oder vorwärts? Die Rückwärtsrollierung zeichnet sich dadurch aus, dass die Arbeitszeit an einem Tag gegenüber der Arbeitszeit des Vortages nach vorne verschoben ist. Dies hat zwar kürzere nächtliche Ruhezeiten zwischen den Diensten zur Folge, zahlt sich jedoch in längeren Freiblöcken aus. Bei einer Vorwärtsrollierung ist die Arbeitszeit entsprechend gegenüber dem Vortag nach hinten verschoben. Die Konsequenz sind entsprechend längere Ruhezeiten innerhalb der Dienstblöcke und kürzere Freiblöcke. Doch was nützt mir ein längeres Blockfrei, wenn ich aufgrund der anstrengenden Dienste den ersten Tag schon brauche, um überhaupt „an Deck“ zu kommen?! Einzelne Belegschaften mögen das anders sehen, aber bundesweit melden uns die Kolleginnen und Kollegen zurück, dass für sie längere Übergänge (Ruhezeiten) zwischen den Diensten eine hohe Priorität haben.
Wenn Rückwärtsrollierung, dann bietet sich eine Kombination mit der Schichtwoche (siehe unten) an mit auskömmlichen Ruhezeiten. Oder man differenziert die Tageslagen stärker, so dass die Übergänge zwischen den einzelnen Schichten nicht so stark sind.
Sechstelregelung contra knappe Wendezeiten
Viele Belegschaften bevorzugen die Sechstelregelung, es wird ja „durchbezahlt“ und die Dienste enden früher. Eine abgelöste Pause verlängert nicht den Dienst. Wenn wir in diesen Betrieben sind, melden uns aber die Kolleginnen und Kollegen gleichzeitig hohe Belastungswerte bei Sechstel-Diensten zurück. Die Wendezeiten zum Erholen sind zu kurz und die Verspätungen sind groß.
Wenn also Sechstelregelung, dann nur mit auskömmlichen Wendezeiten, die auch wirklich zur Erholung genutzt werden können. Technische Wendezeiten, ausreichender Verspätungspuffer und Kurzpause von angemessener Dauer – dies müssen die Wendezeiten enthalten, um eine echte Entlastung zu gewährleisten.
Ansonsten sollte man über eine gute Kombination von abgelöster Pause und Sechstelregelung im Betrieb nachdenken. Hier hilft auch eine Probephase, die man als Pilotprojekt vereinbaren kann.
Abgelöste Pause contra keine Pausenräume
Wenn wir nachfragen, warum die abgelöste Pause in manchen Belegschaften eher kritisch gesehen wird – außer: verlängert Dienst und wird abgezogen -, dann hören wir auch: „Wo soll ich mich denn aufhalten, in den Pausenräumen ist es mir zu ungemütlich“. Darüber könnten wir in unserer Beratungspraxis ein Buch schreiben: abgewetzte Möbel, dreckige Toiletten, kalte Atmosphäre. Daher muss die Forderung lauten: Guter Pausenaufenthalt an den wichtigsten Ablösestellen, saubere Toiletten, ordentliche Einrichtung – und jemand, der auch danach schaut. Vor allem muss an den Ablöse-Brennpunkten die Größe des Pausenraums passen, damit man nicht draußen stehen muss!
Wunschdienstplan contra Wunscherfüllung
Wunscherfüllung über 80 %! Das hören wir oft. Doch beim tieferen Nachfragen erfahren wir, dass die Unzufriedenheit trotzdem groß ist. Denn ich erhalte zwar den gewünschten Frühdienst, weiß aber nicht wirklich, wann ich nach Hause komme. Denn das F reicht von 3:20 Beginn bis zu 7:59 (Beispiel aus der Praxis). Für die persönliche Planung von Familienzeit und Freizeit ist es immens wichtig, die Zeiten für die Tageslagen besser zu fassen – und das heißt: auch die Endzeiten eines Dienstes!
In diesem Zusammenhang ist unbedingt zu klären: Was bekomme ich, wenn ich meinen Wunsch nicht erfüllt bekomme? Also beispielsweise nicht genug F vorhanden sind? Oft erhalte ich dann einen Verfügungsdienst. Aus einem „Wunschdienstplan“ wird ein „Verfügungsdienstplan“.
Hier ist unbedingt ein System von Priorisierungspunkten zugrunde zu legen, um eine erste, zweite und dritte Priorität dem individuellen Wunschprofil eines Fahrers zuzuordnen. Auch ist es wichtig, einen Wunschkorridor festzulegen, in dessen Rahmen man seine Wünsche wählen kann. Dies schafft mehr Gerechtigkeit in der Belegschaft bei der Zuteilung von „guten“ und „schlechten“ Diensten.
So kann ein Flexplan (Wunschdienstplan) wirklich funktionieren.
Schichtwoche
Die Schichtwoche (Blockwoche) ist ein probates und gutes Instrument, um die Planbarkeit von Schichtarbeit, Familie und Freizeit zu verbessern. Eine Arbeitswoche F, M und S usw. wird für den eigenen Biorhythmus als angenehmer empfunden, wir haben hierüber gute Rückmeldungen aus den Belegschaften. Wenn man dann noch Regelungen trifft für den Beginn der Arbeitswoche – späterer Beginn nach FREI und frühes Ende vor FREI -, dann erhöht man die Entlastungswirkung erheblich. Das Wichtigste: Mit einer Schichtwoche erhalte ich sehr gute und auskömmliche Ruhezeiten.
Entlastungsturnus contra Blockfrei
In der betrieblichen Praxis haben sich viele Turnusvarianten (Freifolgen, Dienstreihenfolgen) entwickelt, und jede hat ihre Vor- und Nachteile. Bundesweit erhalten wir ganz klar das Signal aus vielen Belegschaften: „Nicht mehr 6 Tage am Stück, das schaffe ich nicht mehr!“ Manche wünschen sich weiterhin einen 6-2-Turnus (und ähnliches) mit längerem Blockfrei zwei und drei Tage hintereinander. Aber die meisten wollen mittlerweile einen kürzeren Turnus, z.B. 4-2-4-1 und akzeptieren mehr Einzelfrei, die dann entstehen.
Das Einzelfrei sollte verbunden werden mit der Dispositionsregel: nach FREI späterer Dienstbeginn, vor FREI frühes Dienstende. Mit dieser Kombination erhält man eine kürzere Arbeitswoche und verbessert die Rahmenbedingung für das Einzelfrei erheblich.
Mehr „Kümmerer“ für die Belegschaft
„Wir führen doch Teamleiter ein, die sich um die Fahrer kümmern.“ Das hören wir aus vielen Betrieben, und das ist sehr positiv. Doch beim Nachhaken erfahren wir auch: Teamleiter sind zugleich Vorgesetzte mit Disziplinarfunktion. Sie werden überdies mit Aufgaben der Personalverwaltung überhäuft und mit weiteren betrieblichen Aufgaben. Und sie sind zuständig für 250 Fahrerinnen und Fahrer. Wieviel Zeit haben sie dann noch, um sich wirklich „zu kümmern“?
Aufgrund unserer Beobachtungen in den Betrieben sind wir davon überzeugt, dass die Teamleiterfunktion auf die Kommunikation mit den Fahrerinnen und Fahrern konzentriert werden muss. Teamleiter (Es sind tatsächlich zumeist Männer) sollen mit den Leuten reden. Sie sollen helfen, private, familiäre und praktische Probleme zu lösen. Das ist besonders wichtig bei Sprachproblemen in einer zunehmend multikulturellen Belegschaft.
Und sie können helfen, ein „Wir-Gefühl“ zu schaffen für das eigene Unternehmen.
Thomas Wunder