Mit dem Workshop Baukasten für entlastungsorientierte Dienstpläne startet das Koblenzer Forum seine erste Präsenzveranstaltung nach einer zehnmonatigen, Corona-bedingten Pause: Vom 21.-23. Juni 2021 treffen sich im mittelfränkischen Dinkelsbühl 20 Betriebsräte aus dem gesamten Bundesgebiet, um über die Möglichkeiten für entlastende und familienfreundliche Dienstpläne bei Bus und Bahn zu diskutieren. In unserem Interview beschreibt Thomas Wunder Beispiele aus Beratung und Praxis:
Herr Wunder, Corona war und ist eine Belastungsprobe für den ÖPNV. Doch es gibt auch Positives zu vermelden: Die Krankenquoten waren bei den Lockdowns im letzten und in diesem Jahr signifikant gesunken. Was ist der Grund?
Thomas Wunder: Durch die Corona-Beschränkungen waren die wesentlichen Belastungsfaktoren weggefallen. Geringes Verkehrsaufkommen, kaum Staus, keine vollen Busse und Bahnen sowie der Wegfall des kontrollierten Vordereinstiegs – es war trotz aller Virenrisiken noch nie so entspannt zu fahren. Das haben uns viele Kolleginnen und Kollegen gesagt, und es zeigt: Die hohen Krankenquoten resultieren vor allem aus einer zu hohen Belastung. Deshalb muss jetzt alles dafür getan werden, die Belastung dauerhaft zu senken.
Wie kann das gelingen?
Thomas Wunder: Ein wichtiges Instrument sind entlastende und familienfreundliche Dienstpläne. Wir haben im Laufe der Jahre einen Baukasten mit konkreten Umsetzungsvorschlägen und vielen Best-Practice-Beispielen entwickelt. Der gemeinsame Nenner ist: Mehr Zeitsouveränität für Fahrerinnen und Fahrer durch bessere Planbarkeit gewinnen, mehr freie Wochenenden und auch Entlastungen während der Arbeitswoche zu schaffen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Thomas Wunder: Nehmen wir die Verfügungsdienste. Sie werden gebraucht, um Ausfälle – beispielsweise durch Krankheit – im Fahrdienst ersetzen zu können. Zwar weiß ich als Fahrer, dass ich Verfügungsdienst habe, aber nicht genau, wann er stattfindet – also zu welcher Anfangs- und Endzeit, wie lang er ist, welche Linie ich fahre. Das ist sehr ungünstig für die private Planung.
Wir zeigen, dass und wie es besser geht. So können beispielsweise Verfügungsdienste früher angekündigt oder nach einem freien Tag auf einen möglichst späten Beginn gelegt werden. Das haben wir in zahlreichen Betriebsvereinbarungen bereits in die Praxis umgesetzt. Möglich ist auch, die Zahl der Verfügungsdienste zu begrenzen. Das alles verbessert die Übergänge zwischen freien Tagen und Arbeit.
Kann man die Arbeitswochen auch im Hinblick auf das Familienleben verbessern?
Thomas Wunder: Das ist sicher keine leichte Aufgabe für die Betriebe und die Betriebsräte. Aber es ist machbar. So haben wir zum Beispiel „Schichtwochen“ entwickelt mit Diensten gleicher Anfangszeit, sogenannte Tageslagen. Wie sie funktionieren, zeigen wir anhand von Beispielen aus der Praxis. Dazu gehört auch, eine Mindestzahl von freien Samstagen und Sonntagen sowie von zusammenhängenden freien Tagen zu regeln. Das alles kommt in den Belegschaften gut an und verbessert das Betriebsklima.
Ein anderes Thema sind entlastende Freifolgen, also neue Turnusmodelle. Unsere Befragung von rund 7.500 Fahrerinnen und Fahrern ergab, dass die meisten Kolleg*innen lange Arbeitswochen von sechs oder sieben Tagen, wie sie in vielen Betrieben üblich sind, als zu anstrengend empfinden. Zwar hat man nach sechs Tagen Fahren im Anschluss drei oder sogar vier Tage am Stück frei. Aber viele Kolleginnen und Kollegen sagen uns: Was nützt mir dieses Blockfrei, wenn ich am ersten Tag Frei noch ziemlich „platt“ bin. Deshalb machen wir konkrete Vorschläge zur Umsetzung kürzerer Freifolgen, wie zum Beispiel einen 4-Tage-Rhythmus.
Gelingt so eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben?
Thomas Wunder: Auf jeden Fall. Das ist auch in Hinblick auf den Fachkräftemangel von Bedeutung. Die Nahverkehrsunternehmen suchen schon jetzt händeringend nach Fahrerinnen und Fahrern. Deshalb kann es kein „Weiter so“ geben. Wenn die Unternehmen Personal halten und gewinnen wollen, müssen sie attraktivere Arbeitsbedingungen schaffen, die eine bessere Vereinbarkeit ermöglichen. Die Dienstplangestaltung bietet hier großes Potential. Das gilt es, auszuschöpfen.
Noch einmal zurück zu Corona. Die Einschränkungen haben zu hohen finanziellen Verlusten geführt. Ist die Finanzierung des ÖPNV noch gesichert? Oder kommt es in den Betrieben zu neuen Einsparwellen?
Thomas Wunder: Auf dem Koblenzer Forum vom 12.-14. Juli in Boppard werden sich Betriebsrät*innen aus ganz Deutschland genau mit diesen Fragen befassen. Klar ist aber: Die Verkehrswende ist ohne einen attraktiven Nahverkehr nicht realisierbar.
Die Politik muss jetzt entscheiden: Wollen wir die Verkehrswende oder nicht? Wenn ja, braucht es dichtere Takte, ausreichend Personal, bequeme und klimaneutrale Busse und Bahnen sowie ein einfaches Bezahlsystem. Und das kostet Geld. Aber ohne einen attraktiven Nahverkehr werden die Menschen nicht vom Auto auf den ÖPNV umsteigen